18.9.2016 15:11
Saskia Burzynski
Die ganze Welt nur krumme Rücken. Werdet ihr jetzt Schildkröten oder duckt ihr euch nur feige weg?

Kurz vor der Uraufführung des Theaterstücks ‚Birkenbiegen’ von Oliver Bukowski findet im Rahmen der X. Theatertage eine Lesung auf der Bühne des Schwedter Theaters statt. Die fünf Schauspieler_innen der ‚Neuen Bühne Senftenberg’ lesen Auszüge aus dem Roman – oft in Doppelbesetzung. Der Autor selbst ist auch vor Ort und leitet die Lesung ein, indem er dem Publikum Hintergrundinformationen zu den Figuren liefert. Harald Müller, Verlagsleiter von ‚Theater der Zeit’, stellt die dazugehörige Schauspielerin bzw. den dazugehörigen Schauspieler vor. Sabine Michel und auch Ruth Michel werden gelesen von Catharina Struwe, Volker Michel und Karl Böttcher von Simon Elias, Ruby Michel und Vera Böttcher von Alrun Herbing, Peter Böttcher von Robert Eder, Tom Bartels liest die dazugehörigen Regieanweisungen.

Vor allem die Doppelbesetzungen verleihen der Lesung Charme. Im ständigen Wechsel springt beispielsweise Catharina Struwe von Sabine zu Ruth, von Ruth zu Sabine und verändert den Klang ihrer Stimme und die Intonation dabei pausenlos. Das Publikum ist amüsiert und fasziniert und in den Bann der fünf Schauspieler_innen gezogen. Oliver Bukowski scheint die Vorstellung auch zu genießen. Mit einem leichten Lächeln sitzt er, meist mit geschlossenen Augen, am rechten Rand und hört dem, was er selbst geschrieben hat, sichtlich gerne zu.

 


18.9.2016 15:10
Hannah Albrecht
BUKA-MORRA

Teatr Tańca EGO VU, Gryfino (Polen)
Choreografie: Eliza Hołubowska
Mit Monika Barańska, Anna Bartczak, Agniezka Buda, Joanna Busko, Anna Deptuła, Julia Lewandowska, Katarzyna Łyczakowska, Marta Sieńczak, Kamila Sikorska, Maja Szymkowiak, Krzysztof Gmiter, Bartosz Wilniewicz


Das halbstündige Tanztheater Buka-Morra ist inspiriert von der gleichnamigen Figur aus den Mumin-Büchern von Tove Jannson. Alles dreht sich um das Spiel der Angst, um Furcht und Beklemmung. Das Stück, unterlegt von dunklen Basssounds, sphärischer Streichmusik und bedrohlichen Beats, fühlt sich wie ein Spaziergang durch den nächtlichen Wald an. Es lauern Kreaturen im Rückhalt, die eigenen Monster schleichen sich an. Sie konfrontieren mit Ohnmacht und Gewalt, mit Bedrängen und den atemlosen Versuchen, diesem Schrecken zu entkommen. Die insgesamt zwölf Tänzer_innen stellen ergreifend verschiedene Szenen dar, die Situationen des Scheiterns, der Fremdkontrolle und den leisen Wunsch nach Selbstermächtigung und Geborgenheit zeigen. Es spielt sich zu einem Karussell der eigenen, wild gewordenen Ängste hoch, das schließlich durchbrochen wird und zuletzt in ein befreites Aufatmen mündet.

 


18.9.2016 15:05
Lorenz M. Vögel
Timotheus und Hündchen

In den Uckermärkischen Bühnen Schwedt hört man regelmäßig polnisch auf der Bühne und auch bei den Theatertagen fehlen die Gäste nicht. Dinge in fremder Sprache reizen mich, aber wo man im Kino und der Oper meist Über- oder Untertitel hat, blieb bei dieser Inszenierung nur das Vertrauen auf eine Handlung, die auch ohne Sprachkenntnisse funktioniert. Obwohl der Text für mich nur die Möglichkeit bot, aus den Stimmlagen der Puppenspieler_innen zu lesen, habe ich viel gelacht. Die Sieben Schau- bzw. Puppenspieler_innen und Musiker zogen den Großen Saal für eine knappe Stunde in ihren Bann. Das aus vier beweglichen Wänden bestehende Bühnenbild veränderte sich ständig und war wunderbar abgestimmt mit den enorm ausdrucksstark gespielten Puppen.
Nach der Inszenierung konnte ich im Trubel des Abbaus kurz mit Puppenspielerin Edyta Niewińska-van der Moeren sprechen. Es war ein buntes Gespräch auf deutsch, englisch und niederländisch, welches ich deshalb etwas zusammengefasst habe.

Worum ging es und wie entstand die Geschichte?

Edyta Niewińska-van der Moeren
„Tymoteusz i Psiuńcio“, zu deutsch „Timotheus und Hündchen“, ist Teil mehrerer Geschichten mit Bärchen Timotheus, die in Polen schon seit mehreren Jahrzehnten erzählt und auf die Bühne gebracht werden. Es war uns wichtig, zu zeigen, wie unterschiedlich und vielfältig Familien heute sind, deshalb lebt der kleine Timotheus ohne Mama-Bär mit seinem Vater zusammen.
Die Geschichte ist bestimmt 60 Jahre alt und bleibt dennoch aktuell, auch wenn der Text eigentlich nicht sehr einfach ist. Jan Wilkowski, der Autor des Stücks, war außerdem einer der Gründer unserer Puppenspielerschule.


Es macht großen Spaß, euch zuzusehen, weil alles so gut harmoniert. Insbesondere die Puppen lassen tief blicken.

Edyta Niewińska-van der Moeren
Die Choreografie dieser Inszenierung ist sehr schwierig, da wir uns oft hinter und mit den Wänden bewegen. Die Puppen werden auch oft von Mehreren gleichzeitig geführt. Wir können als Puppenspieler nicht hinter der Figur verschwinden und wollen es auch gar nicht. Wir spielen mit uns. Erst die Kombination aus Schauspieler und Puppe macht das Spiel lebendig. Natürlich können wir uns trotzdem nur vorstellen, wie die Puppe wirkt, denn Puppen können viel mehr als Menschen.

Wo kann man euch sonst sehen?

Edyta Niewińska-van der Moeren
Alle Gäste sind herzlich eingeladen unser Puppentheater in Stettin zu besuchen.
www.facebook.com/Teatr.Lalek.Pleciuga
www.pleciuga.pl



 


18.9.2016 15:00
Saskia Burzynski
Mijane – Passing

Getanzte Heteronormativität

Tanzbare, rhythmische, schwungvolle und fröhliche Musik von Matthew Herbert leitet den Modernen Tanz ‚Mijanie – Passing’ vom Tanztheater EGO VU (Teatr Tańca EGO VU) ein. Die zahlreichen Zuschauenden wippen in ihren Theatersesseln zum Beat der Musik mit. Zunächst tanzen lediglich zwei Frauen; das Bühnenbild besteht nur aus einem roten, zweistufigen Block. Ein Mann, um den sich der Tanz der Frauen eigentlich dreht, betritt die Bühne als Dritter.

Sowohl das minimalistische Bühnenbild, wie auch das kunstvoll eingesetzte Licht und die ausgewählte Musik (unter anderem ‚Not a Good Place’ von Apparat und ‚Pulse’ von Archive) strahlen Ästhetik aus. Das Thema des Tanzes ist es allerdings, das die Zuschauenden dringend hinterfragen sollten. So dreht sich alles um den Tänzer. Er benimmt sich wie ein Macker, dem zwei Frauen hinterhertanzen, die er nach Belieben von sich stößt und wieder zu sich zieht, sobald es ihm passt. Die Tänzerinnen bewegen sich sinnlich, ihre Bewegungen sind oft stark sexuell aufgeladen. Unreflektiert wird hier eine heteronormative Welt dargestellt – eine Welt in der Frauen um Männer buhlen, in der Eifersucht zwischen Frauen um einen Mann herrscht, in der Weiblichkeit durch das Tragen eines Rocks, Männlichkeit hingegen durch eine teils gewaltvolle und sehr überhebliche Attitüde dargestellt wird. Er steht stets im Zentrum des Erzählten. Er dominiert den gesamten Tanz, die Frauen wirken, als wären sie ihm vollkommen unterworfen. Die Blicke der Tanzenden treffen sich, verfehlen sich, verlieren sich wieder. Immer aber ist es der Mann, der bestimmt, welcher Blick – welche Frau ihm gerade nah ist und welche er gerade von sich weist. Interessant wäre es gewesen, die hier gezeigten Genderstereotypen zu hinterfragen, zu reflektieren, sich einer anderen Symbolsprache zu bedienen und Genderbarrieren und -rollen zu sprengen. Leider blieb dies vollkommen aus. Die hier tanzenden Frauen dienen ausschließlich als Objekte seiner Lust. Sie strahlen eine ständige Angst aus – eine Angst davor, willkürlich vom Mann zurückgewiesen, versetzt, und dann aber wieder nach seinem Willen zurückgeholt zu werden. Belohnt wurde das Stück vom Publikum allerdings mit tobendem Applaus und Standing Ovations. Leider wurde der Sexismus im Stück und die Darstellung einer heteronormativen Weltansicht wohl nicht wahrgenommen und auch nicht hinterfragt.




 


18.9.2016 14:55
Theaterrezension von L.S.
Wollt ihr den Totalen Krieg?

Zarah 47
Musical-Solo nach Peter Lund
Vorstellung am Samstag, den 17.09.2016 an den Uckermärkischen Bühnen Schwedt
Aufgeführt von Annette Baldin (Kulturwerk Mansfeld-Südharz gGmbH Lutherstadt Eisleben)
Musikalische Leitung & Piano: Arne Donadell


Zarah Leander, die gefeierte UFA-Sängerin und -Schauspielerin, feiert 1947 ihren 40. Geburtstag. Sie feiert allein. Einsam in einem Kaff zurück in Schweden lässt sie die Jahre ihres Erfolgs und ihre Erlebnisse in Nazi-Deutschland Revue passieren. Sie ereifert sich über ihre Liebe zur Kunst, ihre Liebe für den Gesang, die schmerzlich auf einer überzeugten politischen Ignoranz, ja schon Verachtung, basiert. Von Naziverbrechen will sie nichts gewusst, sich von Akteuren ferngehalten haben. Über politische Kunst zieht sie her. Hitler interessiere sie gar nicht, er könne nicht einmal malen. Am Höhepunkt ihres Schwelgens und ihrer Wut, gegenüber ihrer aktuellen Situation, redet sich Leander in Rage und schwärmt von Goebbels und, überhaupt, auch Hitler wäre in sie vernarrt gewesen. Wann sich Leander in ihren eigenen Lebenslügen verrennt bleibt unklar.
Auch ihre Depression bleibt dem Publikum zunächst versteckt. Mit zunehmenden Shots, die sie intus hat, wendet sich ihre innere Niedergeschlagenheit nach außen. Sie wird sentimental, traurig und spricht von Suizid. Als sie ein Anruf aus dem geburtstaglichen Trübsal weckt, verfällt sie in alte Muster: „Solange die Gage stimmt, mache ich alles.“

Baldin spielt selbstbewusst und stark, spielt überzeugend die selbstverliebte Leander mit einem Leuchten in den Augen. Sie interagiert sicher mit Pianist und Publikum. Stimmlich überzeugt sie persönlich nicht. Dies tut jedoch dem Spiel und der Sicherheit Baldins keinen Abbruch. Auch das Zusammenspiel mit Donadell überzeugt.

Das Bühnenbild ist nicht zu wuchtig, aber mit Flügel, Stuhl, Teppich und Tisch in der Mitte der Bühne kann es nicht als minimalistisch gelten. Einige Requisiten hätte ebenfalls sicherlich das Gepäck etwas leichter gemacht und Baldin einige Gänge hinter die Bühne erspart.

 


18.9.2016 14:53
L.S.
PRL

die volksrepublik polen dargestellt im tanz. bilder von gleichschaltung, männlichem patriachart, frauen in röcken, mit ewig steifem lächeln auf dem gesicht + einem national gefolgsamen + euphorischen volk, zeichnet das tanztheater ego vu unter der leitung von eliza holubowska aus polen.

 


18.9.2016 14:51
Ugarit

Mohamad Fityan beeindruckte uns bereits in der ersten Nacht der X. Theatertage. Im Gegensatz zu seinem Quartett verwendet das Weltmusik-Ensemble Ugarit ausschließlich traditionelle Instrumente. Wie das klingt und was der Unterschied zwischen einer Nay und einer Kāwālā ist erfahrt ihr hier:




 


18.9.2016 14:45
Joshua Riehl
Männer

Staatstheater Cottbus
Fußball-Liederabend(?) von Franz Wittenbrink


Aus unserem Blog-Team interessiert sich keine_r so richtig für Fußball, also hieß es, Streichhölzer ziehen. Als Verlierer hatte ich die Ehre, in dieses Stück gehen zu dürfen. Ein bisschen neugierig war ich ja schon auf diese in Deutschland so populäre und mir doch so fremde Kultur. Um mich möglichst gut anpassen zu können, bestellte ich mir erstmal ein Bier in der Theaterklause und warf einen Blick zur Fußballwette (Facebook: Theaterintendant fordert Fußballer heraus). Hier tummelte sich die Presse und eine Vielzahl von Sportlerinnen und Sportlern der beiden lokalen Fußballvereine. Neben meinem eigenen sah ich allerdings weit und breit kein Bier, noch nicht einmal Bierbäuche. Die nächste Überraschung ließ nicht lange auf sich warten: Bier ist im Theatersaal verboten. Zumindest jenseits der Bühne, denn dort ist die Kunst immer noch frei. Theater und Fußball, geht das zusammen? Ausgegrenzt exte ich die Reste meines halben Liters Bier und ließ mich in einen Theatersitz fallen.
Schon der Ankündigungstext prophezeite Lieder von Peter Maffay, Joe Cocker, den Rolling Stones bis hin zu Heintje und Mozart, interpretiert vom Cottbuser Opernensemble. Ich fragte mich, was dies mit Fußball zu tun haben sollte. Bis zu den letzten zwei Hymnen blieb Fußball auch eher eine Randnotiz, obdenn es Auszüge aus HSV-Hymnen gab: „Eine kleine Nymphomanin, eine kleine geile Sau, das ist alles, was wir brauchen: ficken, saufen ...“. Diese befassten sich, wie die anderen Lieder, jedoch mehr mit den Trieben und den komplexen Emotionen der Charaktere, oder sagen wir lieber: den emotionalen Komplexen. Die Männer in Männer saufen, pissen, kotzen, und bevor sie von der Nymphomanin träumen, beklagen sie noch ihren Herzschmerz, der von augenscheinlich egoistischen Frauen verursacht wurde, die diese Wundertypen nicht mehr haben wollten. Natürlich finden sich in dem Stück aber auch Anspielungen an das klassische Theater, so wünscht sich einer der etwas älteren Männer eine Frau, die so ist wie seine Mama; Sophokles‘ König Ödipus lässt grüßen.
In der Pause schnappte ich kurz frische Luft und ermüdet von dem Geschehen im Saal, wunderte ich mich, ob dieses Stück wirklich zwei Stunden gehen muss, denn über den flachen Humor lässt sich nicht unbegrenzt schmunzeln. Der Titel „Männer“ beschreibt die archaischen Charaktere im Stück sehr treffend, dass sie Fußballfans sind, ist eigentlich nur eines von vielen Klischees, das sie erfüllen. Die Mitglieder der lokalen Fußballvereine konnten sich in dem Stück anscheinend auch nicht so richtig wiederfinden: Bis auf zwei Ausnahmen konnte ich am Ende der Halbzeit nur noch zwei Gäste im Trikot erblicken.
Auch in der zweiten Hälfte fanden sich die Männer mitsamt ihrer Bierbäuche, Vokuhilas und Feinrippunterhemden wieder vor ihrem Lieblingskiosk „Zur scharfen Ecke“ ein. Auch wenn es sicher kein „leichtes Gepäck“ war, hatte das Bühnenbild einen dreckigen Charme. Es folgten weitere Sing- und Tanzeinlagen. Wer versehentlich eingeschlafen war, wurde von kreativen Ausbrüchen, also Mülltonnen- und Bierkistenperkussion, wieder aufgeweckt. Im Finale erklangen dann die lang ersehnten Fußball-Lieder „Wir werden nie zum FC Bayern München gehen“ und „So sehen Sieger aus“. Ach ja?

 


18.9.2016 14:41
Hannah Albrecht
ENDSTATION SEHNSUCHT

von Tennessee Williams (A streetcar named desire)
Deutsch von Helmar Harald Fischer
Regie: Olaf Hilliger
mit Saskia Dreyer, Sabrina Pankrath, Daniel Heinz, Fabian Ranglack, Ines Venus Heinrich, Udo Schneider, Manuel Heuser, Uwe Heinrich, Simona Zanner


„Ich werde am Verzehr einer ungewaschenen Traube sterben“

Endstation Sehnsucht ist im Repertoire der Uckermärkischen Bühnen Schwedt und wird hier als großes Finale des 48-stündigen Theatermarathons der X. Theatertage aufgeführt.
Zu Anfang scheint die Situation klar: Die konservative, stets herausgeputzte und übertrieben strahlende Blanche ist in einer misslichen Lage und findet Obdach bei ihrer Schwester Stella, die in ganz anderen Verhältnissen lebt, als erwartet. Hier prallen Welten aufeinander. Stellas Freund Stanley ist ein Großkotz, übergriffig und ordinär. Im Verlaufe des Stückes verdichten sich die Verstrickungen, die Fassade bröckelt. Anstatt familiären Vertrauens herrschen Trug und Schein. Lautstarke Auseinandersetzungen und Gewalttätigkeiten stehen an der Tagesordnung. Doch keine der Beteiligten kann ihrer Lage entkommen. Dem Publikum werden all die zerstörerischen Abgründe sichtbar, die sonst unter scheinheiligem Getue verdeckt bleiben. Die überzeugende Leistung der Schauspielenden lässt die erstickende Beklemmung und hoffnungslose Ausweglosigkeit spüren; angedeutete Vergewaltigungen und Wutausbrüche sind Zeugnisse zerbrochener Sehnsüchte und unerreichbarer Hoffnungen. Zuletzt wird Stella, die in ihrer Scheinwelt irrsinnig geworden ist, in ärztliche Betreuung gegeben, um einen Ausweg aus der Eskalation zu finden. Erdrückende Melancholie und Ernüchterung bestimmen diese Welt, die hier gezeigt wird. Endstation ist die Sehnsucht nach dem Glück, das im Unbekannten liegt.

 


17.9.2016 14:53
Saskia Burzynski
Ein Herz und eine Seele

Der zweite und zugleich letzte Morgen der X. Theatertage wird dominiert von drei Stunden purem Unterhaltungstheater. Gezeigt werden hier drei Folgen der Theaterserie ‚Ein Herz und eine Seele’, welche angelehnt ist an die gleichnamige TV-Serie, die in den 1970er Jahren im WDR ausgestrahlt wurde und enorme Erfolge hatte. ‚Ein Herz und eine Seele’ erreichte seitdem Kultstatus und verzeichnet etliche Fans, die teilweise sogar bei den Dialogen, die vorgetragen werden, mitsprechen können. Diese Beliebtheit ist es auch, die an diesem Morgen dazu führt, dass der Saal trotz der fortgeschrittenen Stunde gut besucht ist. Das Publikum ist gut gelaunt, ausgelassen, lacht und erfreut sich des Humors, der ‚Ein Herz und eine Seele’ prägt.

Bei den Theatertagen werden drei Folgen der Theaterserie gespielt. Zunächst ‚Silvesterpunsch’, darauf folgend ‚Der Sittenstrolch’ und schließlich ‚Besuch aus der Ostzone’. Auch wenn das Bühnenbild vielleicht unerlässlicher Teil des Stücks ist, wird sich leider ein weiteres Mal nicht an das Motto der X. Theatertage gehalten: Leichtes Gepäck! Auf der Bühne wird mit Hilfe zahlreicher Requisiten ein Wohnzimmer, eine Küche und eine Garderobe dargestellt, die die Atmosphäre im Heim der Familie Tetzlaff erzeugt. Diese Kultserie lebt unter anderem auch von diesem Bühnenbild, das einen hohen Erkennungswert hat. Trotzdem ist es schade, dass das Motto so gar nicht beachtet wurde.

Die Zuschauenden, deren Aufnahmefähigkeit aufgrund der Uhrzeit sicherlich schon stark beeinträchtigt ist, können sich ganz dem schrillen, teils flachen, teils politisch inkorrektem, aber dennoch unterhaltsamen Humor der Charaktere hingeben. Großes Nachdenken wird nicht erfordert – es geht um reine Unterhaltung. Und das ist nach gut 30 Stunden Theater schön und erfrischend. Die Schauspieler_innen fühlen sich sichtlich wohl mit dem Publikum und umgekehrt. So interagiert vor allem ‚Ekel Alfred’ immer wieder mit Menschen aus dem Publikum. In ‚Der Sittenstrolch’ beispielsweise muss Alfred zu Beginn dringend das Klo benutzen. Dort findet er allerdings kein Toilettenpapier und bittet deshalb die Zuschauenden um Hilfe, woraufhin eine Person aus dem Publikum ihm Taschentücher reicht. Aus dem Bad zurückkommend sagt Alfred, dass es allerhöchste Eisenbahn gewesen sei. Ein Mann schreit aus dem Publikum ‚das hat man gesehen!‘. Und das ist es auch, was das Stück so sympathisch macht! Die Nähe und das Vertrauen zwischen Schauspieler_innen und Publikum! Die Witze verlieren vielleicht teilweise an Aktualität, vermögen es aber dennoch, sowohl neues Publikum als auch treue Fans immer wieder zu amüsieren.




 


17.9.2016 14:46
Hannah Albrecht
DON CARLOS

Theater der Altmark Stendal
Dramatisches Gedicht von Friedrich Schiller
Inszenierung: Boris von Poser
Bühne: Mark Späth
Kostüme: Gretl Kautzsch
Musik: Benjamin Ulrich
Mit Carsten Faseler, Johannes Fast, Ricardo Friedrich, Jochen Gehle, Taylor-Jerome Giese, Janine Haufe, Angelika Hofstetter, Linda Lienhard, Andreas Müller, Michael Putschli, Frank Siebers, Anna Luisa Strauer, Lea Willkowsky


Eines der bedeutendsten Dramen der Literaturgeschichte, vor über zweihundert Jahren von Schiller verfasst, erlebt hier eine Neuinszenierung. Das Bühnenbild schlicht gehalten, im Rechteck formierte Stühle und einige Requisiten. Stilistisch gibt es einige moderne Ansätze, wie den Einsatz von Schlagzeug und Xylophon, phasenweise sogar Videoprojektionen. Die in rot und schwarz gehaltene Kleidung ist teils klassisch, teils neumodisch. Es wird Zigarette geraucht und mit Pistolen umgebracht. So kommt frischer Wind in das sonst klassische, Geduld erfordernde Stück, das durch schauspielerische Stärke zu überzeugen weiß. Hartgesottene Literat_innen kamen hier auf ihre Kosten.

 


17.9.2016 14:41
Hannah Albrecht
DAS BILDNIS DES DORIAN GRAY

Libretto, Choreografie und Bühne: Lode Devos
Dramaturgie: Volkmar Draeger
mit René Klötzer, Stefan Kulhawec, Niko König, Greta Dato, Denise Ruddock, Emily Downs, Inmaculada Marín López, Juan Bockamp


Das Bildnis des Dorian Gray ist eine tänzerische Adaption des 1891 entstandenen gleichnamigen Romans von Oscar Wilde. 125 Jahre nach dessen Erscheinen wurde das Stück, das schon viele szenische und filmische Interpretationen inspirierte, für die Kammerbühne des Staatstheaters Cottbus von Choreograf Lode Devos neu inszeniert.
Das schlichte Bühnenbild umfasst drei dicke Wände, die unterschiedlich genutzt werden und das in Überlebensgrößte mittig prangende Bildnis der Hauptfigur Dorian Gray. Die Beleuchtung, meist vorwiegend in Orange- und Violetttönen oder kalt-weißen Spots, sowie die Bekleidung der Tanzenden – mal als bunt schillernde Adelsgesellschaft, mal in knapp-gewagtem Outfit der zügellosen Unterwelt – sind maßgeblich für die Atmosphäre nebst selbstverständlich der opulent-musikalischen Begleitung; Stücke von Franz Schubert, Sergej Rachmaninow, Arnold Schönberg und dem Kronos Quartet sind zu hören.
Die Besetzung ist aufs Wesentliche reduziert, im Mittelpunkt stets der umworbene, doch in sich selbst verlorene Dorian Gray – stets ganz in Weiß – oft im Dreiergespann mit seinem treuen Freund Basil – grazil und sanft – und dem verruchten Lord Henry – ganz in schwarz. Er begibt sich in verschiedene Verstrickungen, von Leidenschaft und ausladenden Gesten durchdrungen, in unkontrollierte Ausschweifungen mündend. Tänze, die das Schwere leicht aussehen lassen, die zwar voller Hingabe sind, niemals aber wirkliche Zuneigung zeigen. Aus Liebesspiel wird Liebeskampf. Dorian verstößt und wird selbst Verstoßener. Er verschmäht Zuneigungen, ist kalt und unnahbar. Letztlich leidet er verzweifelt in seiner eigenen, selbstzerstörerischen Einsamkeit, selbstmitleidig bisweilen.
Die Tänze sind Abbild der wachsenden Ausweglosigkeit Dorians. Sein selbstherrlicher Wunsch auf ewige Schönheit und Jugend und sein inneres Zugrundegehen spiegeln sich in dem gemalten Bildnis, das immer verzerrter erscheint. Sein Selbstbild bröckelt, der Selbstverfall ist unaufhaltsam. Erst zum Tode Dorians erstrahlt das Bildnis wieder in seiner ursprünglichen Reinheit. Nach der völligen Zerstörung, aller moralischen Zuwiderhandlungen scheint am Ende eine Art Frieden gefunden, das Bildnis des makellosen Dorians erlischt zuletzt.

 


17.9.2016 14:27
Saskia Burzynski
Deutschland. Ein Hörmärchen

Im Rahmen der X. Theatertage stellt Karl Thiele sein Solo-Projekt ‚Deutschland. Ein Wintermärchen’ vor. In diesem Ein-Mann-Stück ist Karl Thiele Schauspieler und gleichzeitig sein eigener Regisseur. Er rezitiert gekonnt aus dem gleichnamigen Klassiker von Heinrich Heine aus dem Jahre 1844, in dem Heine nach seinem zwölfjährigen Exil in Frankreich ein Wiedersehen mit Deutschland verarbeitete. In seinem satirischen Versepos kritisiert Heine die politischen Verhältnisse Deutschlands der Restaurationszeit und macht seine Unzufriedenheit mit den herrschenden Bedingungen deutlich.

Thiele scheint das Motto der X. Theatertage allerdings vollkommen zu ignorieren: Leichtes Gepäck! Mit diesem Leitgedanken soll zum einen bewirkt werden, dass sich das Publikum voll und ganz auf die Theaterkunst an sich – also die Stimme, Mimik, Gestik etc. der Schauspieler_innen konzentrieren kann. Zum anderen möchte man derer gedenken, die millionenfach mit leichtem, oder sogar gar keinem Gepäck unterwegs waren oder sind, um ihrer Heimat und Krieg zu entfliehen. Karl Thiele bricht diesen Vorsatz der Theatertage vollkommen. Die Bühne ist mit einem Teppich ausgelegt und auf diesem ist ein Wohnzimmer aufgebaut mit Tischen, einem Stuhl, einer Garderobe, einem Pult, einer Gitarre. Er selbst trägt sogar ein Mikrofon.

Faszinierend ist, wie Karl Thiele den Versepos Heines, der keine leichte Kost ist, sicher und präzise vorträgt und das Publikum so fasziniert. Allerdings ist es gleichzeitig auch kein leichtes Unterfangen, im Rahmen der Theatertage noch die nötige Konzentration vom Publikum abzuverlangen, 80 Minuten die Aufmerksamkeit auf einen bloßen Monolog zu richten. Dieser wirkt manchmal wie ein Vortrag, ja fast schon wie ein Hörbuch, das allerdings nicht gestoppt werden kann und zu einem späteren Zeitpunkt nach Belieben weitergehört werden kann.

Alles in allem wäre es interessant gewesen, zu sehen, wie dieses Stück auch ohne zahlreiche Requisiten und großes Bühnenbild ausgekommen wäre. Dies wäre sicherlich möglich gewesen.

 


17.9.2016 14:20
Engel mit nur einem Flügel

Uckermärkische Bühnen Schwedt

Ein Märchen, das kein Märchen ist. Jedoch ist es noch unheimlicher als andere, vor allem weil es wahr ist. Doch zwischen all dem Schrecken verbirgt sich dann doch immer noch etwas Schönes, ein Hoffnungsschimmer inmitten der Grausamkeit der Menschheit.

Video: Lorenz Michael Vögel und Joshua Riehl




 


16.9.2016 15:33
Saskia Burzynski
Das Tagebuch der Anne Frank als Mono-Oper

Auf der eigentlichen Bühne ist eine weitere, runde, in weißen Stoff gehüllte Bühne aufgebaut, auf welcher sich der Großteil der Mono-Oper abspielt. Irma Mihelič spielt auf dieser das Schicksal der Anne Frank zwischen den Jahren 1942 und 1944 nach und erzählt dabei deren Geschichte auf musikalisch-lyrische Art im Stil einer Oper. Der Operngesang wird am Flügel von Anna Grinberg begleitet, die Musik vom Komponisten Grigori Frid spielt. Dieser machte es sich einst zur Aufgabe, das Tagebuch der Anne Frank in Form einer Mono-Oper umzusetzen.

Der intensive Blick und der eindringliche Gesang Irma Miheličs lässt das Publikum erstarren. Die Schwere und die Grausamkeit des Schicksals der Anne Frank wird den Zuschauenden so ein weiteres Mal vor Augen geführt. Die dramatische Musik, die furchtbaren Ereignisse der Anne Frank beunruhigen die Menschen im Saal, sie beklemmen und schockieren.

Leider hält sich die Inszenierung zu einem gewissen Grad nicht an das Motto der X. Theatertage: Leichtes Gepäck! Zwar ist die Bühne nur spärlich ausgestattet, Irma Mihelič bedient sich im Spiel aber zahlreicher Requisiten, derer es so gar nicht bedürfte. Als sie von ihrem Vater singt, unterstreicht sie dies beispielsweise, indem sie sich ein Jackett überwirft und einen Hut aufsetzt. Die Vergänglichkeit des Lebens bzw. ihres eigenen Lebens untermalt sie durch den Einsatz überdimensional großer, verwelkender Herbstblätter. Ein Streitgespräch zwischen Mann und Frau wird dargestellt durch die Verwendung eines Bartes, den sich Mihelič vor ihr Gesicht hält, wenn sie als Mann singt, und eines Tuches, das sie sich um den Kopf bindet, wenn sie als Frau singt. Es hätte vollkommen gereicht, lediglich ein Buch als das Tagebuch der Anne Frank zu verwenden. Dem Gesang und der erzählten Geschichte hätte dies nicht geschadet.

 


16.9.2016 15:31
Hannah Albrecht
INDIEN

Tragikomödie von Josef Hader und Alfred Dorfer
Regie und Ausstattung: Stefan Neugebauer
Mit Tom Bauldauf, Peter Johan

Das zweiteilige Kammerspiel Indien kommt mit wenig aus und macht dem Konzept „Mit leichtem Gepäck“ somit alle Ehre. Ein Bett, zwei Trennwände, drei Tische und zwei Schauspieler in verschiedenen Rollen sind mit dabei.

Es dreht sich um die beiden grundverschiedenen Wirtshaustester Heinz Pösel und Kurt Fellner, die im Auftrag der Berliner Landesregierung auf Geschäftsreise sind, um Ordnung, Sauberkeit und Qualität unterschiedlicher Gaststätten zu überprüfen. Fellner tritt piekfein in Anzug und grell-orangenem Hemd mit Aktenkoffer auf. Er wirkt überkorrekt, pingelig und redselig. Pösel ist stets leger gekleidet, auf seiner blauen Sportjacke prangt der Bundesadler. Er tritt derb auf, lässt zweifelhafte Anspielungen verlauten, ist generell provokativ.

Verschiedene Welten treffen hier aufeinander. Zunächst vertreten die beiden konsequent ihre Rollenklischees und spielen in urkomischer Manier einander Floskeln und Verhaltensweisen zu. Die Gesprächsthemen reichen von Völkerwanderung, Küchenpsychologie, Ehekrisen bis hin zu betrunkenen Reden auf Niveau unterhalb der Gürtellinie. Im weiteren Verlauf jonglieren die Figuren mit ihren Rollen, spielen mit Hierarchien, gegenseitiger Kontrolle und Stereotypen. Die beiden Schauspieler trumpfen in ihren Rollen, beweisen Können in ihrer Kunst und wissen ihre Charaktere überzeugend darzustellen. Mitunter werden Aussagen sexistischer und rassistischer Art fallen gelassen; als Scherz verzerrt, versteht sich. Verbale Gewalt bis hin zu betrunkenen

Vergewaltigungsanspielungen sind teils in provokativer, teils in scherzhafter Manier auf erschreckend selbstverständliche Weise Teil dieses Gehabes getreu dem Motto „Ein bisschen Spaß muss sein“. Bei aller künstlerischer Freiheit kommt hier dennoch schnell die Frage auf, ob hier nicht bloß ein weiterer Beitrag zur kritiklosen Darstellung patriachaler Strukturen gemacht wird.

Immer wieder erfolgen sanfte Einspielungen orientalisch anmutender Musik. Die Bühne
wird dazu in sanft-orangefarbenes Licht getaucht. Vergleiche mit Indien fallen als stiller Sehnsuchtsort, der zwischen idealisiert und klischeebehaftet schwankt und einem losgelösten Bewusstseinszustand gleichkommt.

Wutausbrüche, Geständnisse tiefster Scham und Angst aus Kindheitserinnerungen kommen ans Licht. Zum ersten Mal entsteht eine freundschaftliche Nähe zwischen den beiden, fortan sprechen sie einander mit Heinz und Kurt an. Im zweiten Teil wird diese Männerfreundschaft auf die Probe gestellt: Kurt ist im Krankenhaus, Diagnose: Krebs. Bis zuletzt kommen die beiden nicht aus üblen Späßen und verlegenen, sich widerholenden Sprüchen heraus. Zunächst noch wird versucht, sich den Krebs schönzureden. Schließlich Fellners Tod zu Weihnachten, der das Sterben mit dem Umsteigen in Angermünde vergleicht. Zuletzt schiebt Heinz den verstorbenen Kurt in seinem Krankenbett hinaus, vielleicht im Geiste in die vermeintliche Idylle Indiens.

 


16.9.2016 15:26
Theaterrezension und Interview von L.S.
Die Europäer können ja nichts, außer im Büro sitzen und Blätter umdrehen

Krieg. Stell dir vor, er wäre hier
Theaterstück nach der Erzählung von Janne Teller
Vorstellung am Freitag, den 16.09.2016 an den Uckermärkischen Bühnen Schwedt
Aufgeführt von Larissa Kristina Puhlmann (ubs)

Mit Loopmaschine, Cappy, Mikro und Kreide, in Hoodie, Jeans und Sneakern und mit jugendlichem Geist bringt Larissa Kristina Puhlmann in mehreren Rollen in Krieg. Stell dir vor, er wäre hier das Leben einer Familie auf die Bühne, die, aufgrund des dort ausbrechenden Krieges, aus ihrem Heimatland fliehen muss. Dieses Heimatland ist nicht, wie wir vielleicht denken mögen, Syrien, Ägypten oder der Irak. Die Welt, in der wir uns befinden, ist eine umgedrehte. In Europa und vor allem Deutschland herrscht der Krieg. Deutschland hat sich aus der EU ausgeklinkt. Prinzip-Deutschland, nennen sie es. Die Gleichstellungspolizei. Denn Deutsche müssen auf Deutschland achten, sagen sie. Dank dieser Politik haben sich Frankreich und Co. gegen das Land gestellt. Und die arabischen Länder wollen keine Deutschen bei sich haben: „Die Europäer können ja nichts, außer im Büro sitzen und Blätter umdrehen. Das brauchen wir hier nicht.“

Was würden Ich und Du und all die anderen denn tun, wenn sich plötzlich eine solche Welt mit uns dreht?

Im Gespräch erzählt Larissa Kristina Puhlmann, dass die lockere, frische jugendliche Art, mit Seitenhieben und humoristischen Spitzen besonders in den Klassenzimmern gut ankommt ... und hoffentlich auch im Theater. Insbesondere ein undramatisches Spiel war angedacht. Der Inhalt transportiere die Dramatik ja deutlich. Diese fantastisch umgesetzte Jugendlichkeit spricht in der Tat, so zumindest erklang es aus dem Publikum, die Jugend an. Sie transportiert die Inhalte auf nahe und realistische Weise und kann so Menschen jeden Alters, die Angst, den Hunger und die Leiden des Kumpels oder der Freundin verdeutlichen. Die Gespräche mit geflüchteten Menschen im jetzigen Deutschland hätten der Schauspielerin geholfen diese humoristische und leichte Sichtweise auf die Tragik der Situation zu finden. Für Larissa Kristina Puhlmann stellte die heutige Aufführung tatsächlich die Premiere auf der Bühne dar. Die weit und groß zu bespielende Fläche, der Abstand zum Publikum seien ihr zunächst ungewohnt erschienen. Nichts davon bemerkt das Publikum. Es ist von der ersten Minute gecatcht. Auch die Requisiten, wie Rucksack, Tagebuch, Stuhl oder Tischtennisschläger, die nicht mehr ins Gepäck gepasst haben, fehlen nicht.

Der Einsatz der Loopmaschine, den viele wohl aus Konzerten kennen, ist durchdacht gewählt. Sie gibt, von Larissa Kristina Puhlmann eingesprochenes und nachgeahmtes, Stimmengewirr und Bombenangriffe wider. Es überzeugt besonders die Einbindung des Songs Haus am See von Peter Fox, der als Rückbesinnung auf das alte Leben und als sorgenloser Ruhemoment der Jugendlichen gilt.

Nach Monaten auf der Flucht, dem Ausharren und Warten in Lagern, der ‚Eingliederung’ in den arabischen Staat und das Leben dort, schließt Larissa Kristina Puhlmann das Stück mit den, in einem nun bitteren Kontext stehenden, Worten Peter Fox´ „Ich hab 20 Kinder, meine Frau ist schön. Alle komm'n vorbei, ich brauch nie rauszugehen.“

 


16.9.2016 15:23
Saskia Burzynski
Lesemarathon

Mitglieder des ubs-Schauspielensembles lasen am frühen Morgen dem Publikum aus ihren Lieblingsbüchern vor. Gekleidet in Schlafanzüge, strahlten sie eine warme Wohlfühlatmosphäre aus und bewirkten, dass sich die Zuschauenden, die von der ersten Nacht der Theatertage schon langsam müde wurden, entspannen konnten.
Gelesen wurde sowohl auf deutsch als auch auf polnisch. Unter anderem wurde aus der Biografie Romy Schneiders, aus ‚Die kleine Hexe’ von Otfried Preußler, aus ‚Abschied von Gülsary’ von Tschingis Aitmatow und aus ‚Denk doch was du willst’ von Thorsten Havener vorgetragen. Geschichten zum Abschalten und auch Geschichten zum Nachdenken. Insgesamt ein sehr gelungener und sympathischer Start in den Morgen.

 


16.9.2016 15:21
Bandscheibenvorfall

Fünf Menschen, ein Büro und ein Chef den man die zu Gesicht bekommt. Der
normale Wahnsinn im Büro in immer absurder werdenden Szenen. Auch um drei Uhr
morgens lachte man noch lauthals im Großen Saal.



 


16.9.2016 15:13
Mohamad Fityan Quartett

Mit sanften Klängen konnte sich das Publikum auf eine Traumreise in den Orient begeben, wurde
aber schnell von progressiven Parts, von denen sich selbst Jethro Tull eine Scheibe hätten
abschneiden können, wieder aufgeweckt. Ob laut oder leise, Mohamad Fityans virtuose
Performance auf der Längsflöte versetzte die Zuhörer_innen in andere Sphären.
Hier ein kleiner Eindruck vom Mohamad Fityan Quartett, um zwei Uhr früh auf der
Uckermärkischen Bühne:



 


16.9.2016 15:10
von Saskia Burzynski
20 Jahre später

Das Hans Otto Theater Potsdam setzte das Stück ‚Das schwarze Wasser’ von Roland Schimmelpfennig ganz nach dem Motto der Theatertage um: Mit leichtem Gepäck. Regie führte hierbei Elias Perrig. Das Bühnenbild bestand lediglich aus ein paar wenigen Stühlen, derer sich die Schauspieler_innen während der Vorführung bedienten, ansonsten blieb die Bühne leer. Die Aufmerksamkeit des Publikums galt also ausschließlich den Stimmen, Gesten, Geräuschen und der Mimik der Schauspielenden.

Wie in einem Mosaik setzten sich die einzelnen Satzfetzen und Monologe zusammen, überlagerten sich teilweise und ergaben so nach und nach Sinn und bildeten eine Geschichte, die die insgesamt sieben Schauspieler_innen auf der Bühne erzählten. Eine Geschichte, die in der Vergangenheit spielt und in der Zukunft. Einer Vergangenheit, in welcher sich neun Menschen – türkische und deutsche – eines Nachts an einem dunklen See im schwarzen Wasser begegneten. Damals waren Unterschiede zwischen ihnen noch nicht offensichtlich. Der Bericht über die Zukunft in 20 Jahren und dann in weiteren 17 Jahren verdeutlicht, dass sich die Schicksale der einzelnen gravierend verändert und in unterschiedliche Richtungen entwickelt haben. Die Lebenswege der Deutschen sind 20 Jahre nach der Begegnung von Erfolg, die der Türken eher von Misserfolg geprägt. Es gibt keine Berührungspunkte mehr zwischen ihnen. Die Rollen der Schauspieler_innen verwischen; jeder spielt jeden; jeder ist einmal Frank, dann wieder Leyla, dann Cynthia, dann Karim, dann wieder bloße_r Erzähler_in. Es scheint, dass es nicht wichtig sei, den Schauspieler_innen feste Rollen zuzuweisen. Die Willkürlichkeit, der Zufall, wer in welche Welt geboren wird, wird so verdeutlicht. Die Inszenierung beweist oft Mut zur Pause. So steht das gesamte Ensemble – mit intensiven Blicken direkt in die Augen der Zuschauenden gerichtet – am Rand der Bühne. Sie weisen auf Diskurse über Einwanderer, Ängste, Chancen, Mindestlöhne etc. hin – dann Stille, das Publikum wird zum Denken angeregt, die Pause beunruhigt, fasziniert und ist großartig und kunstvoll eingesetzt.

Auch zu später Stunde ist es den Schauspieler_innen möglich, das Publikum zu erwecken und sie dazu zu bringen, über die eigene Positionierung in der Welt zu sinnieren.

 


16.9.2016 12:30
Theaterrezension von L.S.
Zwischen Schildmützen und Ratten ... und Kälte

Zeit im Dunkeln
Schauspiel von Henning Mankell
Vorstellung am Donnerstag, dem 15.09.2016, an den Uckermärkischen Bühnen Schwedt
Aufgeführt vom Nordharzer Städtebundtheater Quedlinburg / Halberstadt

Ganz nach dem Motto der X. Theatertage Mit leichtem Gepäck gestaltet das Nordharzer Städtebundtheater Quedlinburg / Halberstadt sein Bühnenbild simpel, aber pragmatisch. Die Kulisse besteht aus kleinen IKEA-Würfelchen, die in drei schwarze Metallregale passen, durch welche den drei Schauspieler_innen ermöglicht wird, offene und geschlossene Wände zu bauen.

Rockig-Poppig startet Zeit im Dunkeln mit dem erst zu Beginn diesen Jahres erschienenen Musikstück Blackstar von David Bowie und zehnminütiger Laufzeit das Intro der nun folgenden Trauergeschichte einer flüchtenden Familie. Bereits in den ersten Minuten verlieren Vater und Tochter die Mutter in den Tiefen des Meeres, irgendwo zwischen der Türkei und Griechenland. Die Tochter, Ilona, rettet den Vater an Land. Die Reise verläuft über dunkle und unheimliche Orte. Als sie irgendwo in Europa landen und einen, zunächst angedachten, Zwischenstopp nehmen, beginnt der Alltag zweier traumatisierter, trauernder Menschen. Der Vater versucht, festzuhalten an Ordnung, Sauberkeit und männlichem Patriarchat, versucht, die neue Umgebung aus zu viel Schildmützen, zu viel alten Knackern und Ratten in den Wänden zu verstehen. Die Tochter beginnt, die Welt mit anderen Augen zu sehen, kürzt ihre Haare, trägt Mütze statt Kopftuch und beginnt, dem Vater, so versteht er es, Widerworte zu geben.
Trauer, Lügen, Verzweiflung, Liebe, Gewalt, Sehnsucht, Traum, Wunsch, Rache, Pfeffer, Sexualität, Verwirrung, Kanada oder doch Australien, Streit und Einkaufszettel werden hier in tragischster und komplexester Weise thematisiert und von den beiden Kammerspieler_innen diskutiert. Die verstorbene Mutter taucht auf, wenn sie Gesprächsthema ist, und spukt, in traditionelle Kleider gehüllt, in den Köpfen der Zurückgebliebenen herum.

Zu einem dramatischen und erschreckenden Höhepunkt kommt es, als der nun fast gänzlich verwirrte und depressive Vater die Tochter mit seiner Frau verwechselt, sich auf sie schmeißt, um sich an ihr zu vergehen, und nur Minuten später beiden ein jähes Ende verschaffen will.

Durch den Marathon, den das Theaterfestival durchläuft, ist bereits die dritte Veranstaltung um ein paar Minuten verzögert und die Zuschauer_innen können so Umbau und Lichttests miterleben. Start und Ende der Inszenierung werden hierdurch unklar, bilden so aber auch eine besondere, interessant unsichere Atmosphäre, durch die versehentlich bereits die Schlussszene von Klatschen begleitet wird.

 


16.9.2016 12:10
Saskia Burzynski
Krieg – Zerstörung – Frieden – Neustart

Bilder einer Ausstellung

Nach einer kurzen Einleitung des Abends durch den Intendanten der Uckermärkischen Bühnen Schwedt, Herrn Reinhard Simon, und den ehemaligen Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg, Herrn Matthias Platzeck, wurde der erste Abend der 10. Theatertage offiziell mit Bilder einer Ausstellung eröffnet – einem Klavierzyklus von Modest Mussorgski, welcher von Maurice Ravel im Jahre 1922 bearbeitet wurde. Eine weitere Adaption des Klavierzyklus von Mussorgski schuf 50 Jahre nach Ravel Isao Tomita, der sich zur Übersetzung des Werks eines Synthesizers bediente. Für das Theaterfestival in Schwedt hat es sich nun gut weitere 50 Jahre später das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt (Oder) mit Tilman Hintze am Flügel und Tänzer_innen des Teatr Tańca EGO VU und des Teatr 6 i PÓŁ aus Gryfino (Polen) zur Aufgabe gemacht, diesen Klavierzyklus in die Gegenwart zu übersetzen und dem Zeitgeist anzupassen.

Das Stück handelt von Krieg, der daraus resultierenden Zerstörung und einem Naturzustand der durch diese erreicht wird. Somit wird die Chance eröffnet, wieder neu und vielleicht dieses Mal besser – dieses Mal mit Wissen darüber, was besser gemacht werden könnte – zu starten. Umgesetzt wird dieser Prozess im Stück auf zwei verschiedene Arten, die sich zwar voneinander unterscheiden, aber dennoch miteinander verschwimmen. So wird das Stück zunächst eingeleitet am Flügel durch Promenade von Mussorgski – ein Thema, das sich im gesamten Verlauf des Stücks immer wieder (teils abgewandelt) wiederholt. Es dominiert Bilder einer Ausstellung. Das Orchester setzt mit Maurice Ravels Orchesterversion ein, verdeckt und abgegrenzt vom Publikum durch einen transparenten Vorhang, der wie ein Schleier wirkt. Dieser vermag es, das Publikum in einen tranceartigen Zustand zu versetzen und somit zum Nachdenken anzuregen. Außerdem dient er als Projektionsfläche für Bilder, die die Zerstörung der von Menschen geschaffenen Bauten demonstrieren. Unter anderem wird die Zerstörung und der Zerfall einer Moschee, des Eiffelturm, der Chemiewerke von Leuna etc. animiert dargestellt und mit der Musik stets untermalt. Diese strahlt vor allem Bedrohung, Unruhe und Dramatik aus. Die Zuschauenden werden in den Bann der Musik gerissen und es stellt sich die Frage: ist der Mensch an dieser Zerstörung letzten Endes vielleicht selbst Schuld?

Zu Beginn des Stücks treten schon 10 schwarz gekleidete und mit roten Regenschirmen (passend zum Logo der Theatertage) bewaffnete Frauen und Männer auf die Bühne. Die Verbindung zwischen ihnen und der Musik wird so geschaffen. In wilden, aufregenden, verstörenden, aufreibenden, verwirrenden, wahnsinnigen, schnellen Choreographien setzen die Tänzer_innen nun das, was die projizierten Bilder schon deutlich machten, in Form von Tanz um. Auch hier geht es um Bedrohung, um Verwirrung, um Orientierungs- und Ziellosigkeit – letzten Endes um Zerstörung. Übertragen wird die herrschende Stimmung auch auf die Farbe der Oberteile der Tanzenden. Zunächst tragen sie schwarz, dann grau, am Ende – da, wo Frieden herrscht – weiß. Sehr plakativ und anschaulich, aber vielleicht ist das aufgrund der Schnelligkeit und der geforderten Konzentration des Publikums auch nötig. Meist dabei ist der rote Regenschirm. Er hat während des Tanzens zahlreiche Einsatzmöglichkeiten: so dient er als Schmuckstück, als Waffe, als Schutz, als Ruder, als Flugmittel, als Grenze und auch als Treppe. Unterstützt wird der Tanz durch die zweite Adaption des Klavierzyklus – nämlich der Synthesizerversion von Isao Tomita.
Am Ende wird das Publikum in die Feier des Friedens mit einbezogen. Eine weiße Taube mit Ölzweig im Mund – DAS Symbol des Friedens – wird auf der Projektionswand gezeigt, diese fährt zudem etwas nach oben, sodass die Grenze zwischen Publikum, Tänzer_innen und Orchester schwindet. Die Zuschauenden halten sich an der Hand, mit Blick auf die Bühne. Scheinbar zufrieden und friedvoll in diesem Zustand des Neuanfangs, der die Folge von Krieg und Zerstörung war.

 


16.9.2016 12:00
Germania 3 – Gespenster am toten Mann

 


15.9.2016 21:20
von Hannah Albrecht
Heiner Müller: Germania 3 – Gespenster am toten Mann

Ein episodenhafter Abriss des 20. Jahrhunderts wird hier gezeigt, Versionen der kommunistisch-kapitalistischen Geschichte Deutschlands.
Schon als Einleitung wartet im uniformen Sinne ein Sprechchor vor der Bühne auf, vor Beginn des eigentlichen Stückes, das mit dem filmischen, historisch anmutenden Auftakt die Stimmung der Kriegs-, Arbeits- und Volkslieder schon ahnen lässt. Ein schlichtes Bühnenbild wird untermalt von historischem Videomaterial, begleitet von Geräuschkulissen, deutschem Dichtertum und Radiomusik. Selten kommt es vor, dass die Schauspielenden wirklich miteinander agieren; sie sprechen zwar miteinander, doch kaum einander zugewandt. Die Ansprache erfolgt stets frontal zum Publikum, durch das die Worte scheinbar ins Leere laufen.
Das Publikum findet sich hineingeworfen in Szenen bitterer Kriegszeiten, lautstarke Ansprachen und hungernde Soldaten bis hin zu Immobilienmaklern der Jetztzeit – „vom Blutadel zum Geldadel“. Die Schrecken von Arbeitslagern, blanker Gewalt, Mord und Hunger noch kaum verdaut, hängen sie wie Gespenster im Geisterschloss, das vor Greueltaten spukt. Die dargestellte Zeitspanne reicht von einer inbrünstigen Kriemhild des Mittelalters über die Diktatoren des zweiten Weltkriegs und Heimkehrer der Nachkriegszeit bis hin zum Mauerfall und darüber hinaus. Hitler tritt machtgeil und zornig wie ein Kind auf, zuweilen wie ein Tier, das kriecht und hechelt. Stößt unverständliche Laute wie in Rückwärtssprache aus und schmückt sich im souveränen Machtgenuss. Die Schauspielerin weiß der ins Lächerliche gezogenen, peniblen Besessenheit in völlig überzogener Hysterie Ausdruck zu verleihen.
Das Stück entpuppt sich als wild rudernde Kollage voller Zeitsprünge aus Szenen deutscher Geschichte und sogenannten Kulturguts. Die Szenen wechseln ungeachtet jeglicher Landes- und Epochengrenzen. Manchmal möchte man sich fast vergeblich orientieren, da mischen sich die Elemente aller Zeiten; eine Leiche der Nachkriegszeit liegt noch im Wohnzimmer der bunt-schrägen, feiernden Meute zur Wende.

 


15.9.2016 21:10
Theaterrezension von L.S.
Schiller und Goethe oder Öl und Weizen?

Germania 3 – Gespenster am toten Mann
Schauspiel von Heiner Müller
Vorstellung am Mittwoch, den 14.09.2016 an den Uckermärkischen Bühnen Schwedt
Aufgeführt von der Neuen Bühne Senftenberg

Von dem Aufbau einer Stadt, einem Turm, einer Arbeiterstadt, sprechen sie. Wie die Zukunft sein wird, fragen sie. Ob die Maßnahmen im Hier und Jetzt richtig oder falsch, böse oder gut sind, diskutieren sie. Sie, die Toten, Vergessenen und Unvergessenen der Geschichte Deutschlands.
Germania 3 erzählt collagenartig die Höhen und Tiefen des 20. Jahrhunderts aus Sicht Deutschlands, der Sowjetunion, deren Soldaten und der Arbeiterschaft. Es erzählt teils anachronistisch die Etappen großer historischer Ereignisse Europas und deren Einfluss auf die kleinen und großen Menschen dieser Zeit.
Mit dem Rückbeziehen auf die Leiden Kriemhilds und Hagens des Nibelungenlieds wird die Geschichte Deutschlands in den germanischen Kontext gestellt. Allerlei historische Persönlichkeiten werden angeführt, Hitler, der sich kurzzeitig in die Nazi-Bustier-tragende Eva Braun verwandelt, schwärmt, wie könnte es anders sein, von Richard Wagner. Die Zuschauer_innen erleben schließlich das Ende des Zweiten Weltkriegs mit, die ‚Auferstehung’ der DDR und den Fall der Mauer.

Das schlicht gewählte Bühnenbild, ein karger Fliesenraum mit oberhalb untapezierten Wänden, dient dem Zeichnen unterschiedlichster trister Bilder und theoretischer Gedankenkonstrukte. Gelungen ist das Einsetzen filmischer Projektionen, (Arbeiter-) Liedern und Textrezitationen großer deutscher Schriftsteller, wodurch häufig die zeitliche Einordnung der Szenerie verdeutlicht wird. Das Spiel der Neuen Bühne Senftenberg ist durchweg solide. Heraus sticht sicherlich die Leistung Eva Geilers in der Rolle des Hitlers.

Die Inszenierung zeigt sich größtenteils objektiv, wenn, dann unterschwellig wertend. Hitler wird zwar, im Vergleich zum ernsten, beherrschten Stalin, als wahnsinnig gewordener, nicht verständlich hechelnder (Schäfer-) Hund dargestellt. An anderer Stelle jedoch wird die Euphorie über den Sieg des Kapitalismus und den Fall der DDR all zu unkritisch gezeigt. Die Frage, ob es sich bei ‚Germania’ nun metaphorisch um Schiller und Goethe, oder doch um die Aneignung von Öl und Weizen handelt, bleibt schließlich offen, eine Bilanz bleibt aus. Germania 3 ist für diejenigen, denen die deutsche Geschichte noch nicht zum Hals heraus hängt eine gute Auffrischung historischer Ereignisse, die von unterschiedlichsten Seiten beleuchtet und problematisiert werden.

 


15.9.2016 21:00
von Saskia Burzynski
Germania 3 - Gespenster am toten Mann

Die Zuschauer_innen betreten den Theaterraum des Theaters in Schwedt und werden von einer großen Menge schwarz gekleideter Frauen und Männer in Empfang genommen, die sich am Rande der Theatersessel aufgestellt haben und somit wirken, als wären sie Teil des Theaterpersonals. Dass sich dieses vermeintliche Theaterpersonal als die Schauspieler und Schauspielerinnen des nun folgenden Stücks erweisen werden, ist dem Publikum zunächst unklar – die dunkel gekleideten Menschen finden erst kaum Beachtung.
Nach dem dritten Gong allerdings, der den Beginn des Stückes einleitet, bewegen sich die am Rande Stehenden zur Bühne, setzen sich auf diese und beginnen mit dem Stück Germania 3 – Gespenster am toten Mann, inszeniert von Manuel Soubeyrand und ausgeführt durch die Neue Bühne Senftenberg, nach einem Schauspiel vom deutschen Dramatiker Heiner Müller.

Germania 3 – ein Stück, welches es vermag, in 90 Minuten verschiedenste Aspekte menschlicher Abgründe und Katastrophen der Geschichte des 20. Jahrhunderts zu beleuchten und sich dazu eines collageartigen Stils bedient. Aufgrund dieses Stils, der ständig zwischen unterschiedlichen Ereignissen der Geschichte hin- und herspringt, der einmal Stalin, dann wieder Hitler, dann Hagen von Tronje und Kriemhild aus dem Nibelungenlied, dann deutsche, dann sowjetische Soldaten auf der Bühne versammelt, die sich entweder gegenseitig oder selbst umbringen, – ein Collagenstil, der vom allgemeinen Schicksal des Landes beziehungsweise der Länder plötzlich zu privaten Schicksalen schwenkt und beispielsweise drei verwitwete Damen in einem Schloss vorstellt, welche ihre Männer verloren haben und sich nun selbst in den Tod stürzen wollen – all dies fordert vom Publikum ein Höchstmaß an Konzentration und auch ein gewisses geschichtliches Hintergrundwissen. Die Inszenierung des Stückes vermag es durchaus sowohl durch erstklassiges Spiel der Schauspieler_innen, durch den Einsatz verschiedenster Medien (unter anderem Video- und Bildfetzen von Originalaufnahmen aus dem Krieg, vom Fall der Mauer etc.), wie auch teilweise durch komische Elemente im Stück, die Konzentration der Zuschauenden aufrecht zu erhalten. Die komischen, aber auch teils makabren Elemente, welche die Ernsthaftigkeit der vorgestellten Themen etwas entlastet, scheinen Anklang beim Publikum zu finden und stellen somit die Aufmerksamkeit der Zuschauenden sicher. Diese entstehen vor allem durch teils sehr überspitzes, übertriebenes Schauspiel, welches das Dargestellte auf ironische Weise zeigt und somit lächerlich macht. Die Soldaten marschieren zum Beispiel am Anfang des Stücks in vollkommen übertriebener Manier über die Bühne, die Schauspielerin, welche Hitler spielt (schon allein die Tatsache, dass Hitler von einer Frau gespielt wird, die in der Mitte des Stücks, indem sie ihr Hemd hochhebt und ihren BH frei zeigt, auch noch zu einem gewissen Grad mit ihrer Weiblichkeit spielt) stellt diesen fast als Hund dar. Sie redet teils in einer dem Publikum unverständlichen Fantasiesprache, kaut an Knochen, bewegt sich wie ein Hund. Sie zieht Hitler so ins Lächerliche, stellt Wahn und Irrsinn dar. Eva Geiler leistet hier große schauspielerische Arbeit und glänzt in ihrer Rolle auf der Bühne.

Das Stück endet, wie es beginnt; der Kreis schließt sich. Marianna Helene Jordan steht am linken, Sybille Böversen am rechten Rand der Bühne – nun wieder ganz in schwarz gekleidet wie auch zum Anfang der Aufführung. Sie beginnen, An die Nachgeborenen von Brecht zu zitieren. Der Rest des Ensembles erscheint, alle in schwarz stellen sie sich vor die Bühne. Sie zitieren nun gemeinsam die eindringlichen Worte Brechts, nah an das Publikum gewendet, dass diese die Worte Brechts ja nicht vergessen:
„Ihr aber, wenn es soweit sein wird, dass der Mensch dem Menschen ein Helfer ist, gedenkt unsrer mit Nachsicht“. (Brecht, An die Nachgeborenen)

 


15.9.2016 20:00
Eröffnungsveranstaltung